Joseph Maurice Ravel: Valses nobles et sentimentales

Joseph Maurice Ravel (1875-1937)

Vals es nobles et s entimentales

1. Modéré
2. Assez lent
3. Modéré
4. Assez animé
5. Presque lent
6. Vif
7. Moins vif
8. Epilogue: lent

Obwohl der Vater des kleinen Maurice kein Musiker war, sondern als Ingenieur aus Leidenschaft viel Zeit und Geld in die Weiterentwicklung des Gasmotors investierte, unterstützten er und seine baskische Frau die musikalischen Ambitionen des Sohnes.

Als dieser sieben Jahre alt war, ließen die Eltern ihm den ersten Klavierunterricht angedeihen, einem Alter, in dem es zu einem Wunderkind wohl nicht mehr reichen würde. Trotzdem hatte der Junge, der einige Jahre später an eine private Musikschule geschickt wurde, eine große Karriere vor sich. Klavier und Harmonielehre waren zunächst die Fächer, in denen er unterwiesen wurde. Frédéric Chopin lautete der berühmte Name des Lehrers seines Lehres Émile Descombes. Nach derart intensiver Vorbereitung schaffte Ravel 1889 die Aufnahmeprüfung am Pariser Konservatorium, wenn auch zunächst „nur“ für die Vorbereitungsklasse. Das Klavier blieb zunächst das Instrument des jungen Musikers, so dass es nicht fern lag, sich für eine Pianistenlaufbahn zu entscheiden.

Doch musste Ravel schon bald erkennen, dass er nicht der einzige Schüler war, der mit Talent für das Tasteninstrument gesegnet war. Da es bekanntermaßen immer mindestens einen Menschen gibt, der es besser konnte als man selbst, musste auch Ravel feststellen, dass er von einigen Mitschülern an Virtuosität übertroffen wurde. Diese Feststellung aktivierte allerdings nicht seinen Kampfgeist, sondern sorgte für eine ausgewachsene Demotivation, die so weit reichte, dass er später seine Zwischenprüfung nicht bestand und die Meisterklasse verlassen musste. Er verzieh dieses „Versagen“ seinem Instrument nie, so dass die ursprüngliche Liebe zum Klavier in eine regelrechte Abneigung umschlug. Er setzte sich nur noch an das verschmähte Instrument, um eigene Kompositionen zu Gehör zu bringen. Ravel löste sich von dem Gedanken, es als Instrumentalist zu großer Berühmtheit zu bringen und griff zu Stift und Notenpapier, die ihm besser zu gehorchen schienen.

Der Eifer lohnte sich. 1897 konnte er in die Kompositionsklasse von Gabriel Fauré eintreten. Zudem studierte er Kontrapunkt, Fuge und Orchestration bei André Gedalge. Über seinen berühmten Lehrer Fauré gelangte Ravel in die Welt der mondänen Salons des damaligen Paris. Ravel entwickelte sich zum regelrechten Dandy.

Die Komponistenkarriere begann allerdings nicht gleich wie im Bilderbuch. Ganze fünf Mal hatte sich Ravel für den berühmten Prix de Rome beworben, und fünf Mal scheiterte er. Nichtsdestotrotz arbeitete Ravel weiter hart an seiner Komponistenlaufbahn, und das nicht ohne Erfolg. Zunächst beschränkte er sich hauptsächlich auf Klavierstücke und Lieder. Doch in den 1920er Jahren entdeckte er mehr und mehr die Welt der Orchester- und Opernmusik für sich. Genannt seien an dieser Stelle bspw. die Orchesterouvertüre „Shéhérazade“, die Oper „L‘Heure Espagnole“ oder die berühmte Rhapsodie espagnole. Die Bekanntschaft mit Igor Strawinsky im Jahre 1913 intensivierte sein Schaffen in diesem Bereich. Strawinsky nannte seinen Kollegen einmal den „Schweizer Uhrmacher“ unter den Komponisten,weil Ravels Kompositionen sich durch Exaktheit ebenso wie durch Detailgenauigkeit auszeichneten. Gerühmt wird an seiner Musik auch die harmonische Führung sowie der Umgang mit Klangfarben.

Diese Mittel bettete er aber durchaus in traditionelle Formen ein, wobei er immer wieder von den Formen abzuweichen suchte, um neue Klangerlebnisse zu provozieren.

Wie viele andere französische Komponisten blieb auch Ravel nicht unbeeindruckt von den exotischen Klängen aus ostasiatischen Ländern, die er auf der Pariser Weltausstellung im Jahre 1889 zu hören bekam. Er verarbeitete die Höreindrücke in seinen Werken und ergänzte sie durch Elemente baskischer Folklore und amerikanischen Jazz.

In seinen „Valses nobles et sentimentales“ hat der Komponist ebenfalls ein großes Spektrum an Klangfarben und Rhythmen gewählt, die er in sieben Sätzen, welche ohne Pause aufeinander folgen, variiert. Das Werk entstand im Jahre 1911 in einer Klavierfassung und war Louis Aubert gewidmet, der es am 8. Mai desselben Jahres zur Aufführung brachte. Bezug nimmt der Komponist auf die Tänze und Walzer Franz Schuberts, die ebenfalls die Bezeichnungen „nobel“ und „sentimental“ tragen. Aber auch Anspielungen auf andere Walzerkomponisten des 19. Jahrhunderts, so bspw. auf Kompositionen Chopins oder des Walzerkönigs Johann Strauß sind erkennbar. 1912 schuf Ravel eine Orchesterfassung des Werkes. Das zeitgenössische Publikum reagierte insgesamt auf Ravels Kompositionen höchst unterschiedlich. Die Zuhörer bevorzugten konservative, harmonisch gefällige Werke und standen den ungewohnten Harmonien und Rhythmen skeptisch bis massiv ablehnend gegenüber.

In der Tat schaffte Ravel es, Kontroversen in der gesamten europäischen kulturellen Welt auszulösen. Heute hat Ravels Musik nichts Skandalöses mehr, doch ihre Faszination hat sie beibehalten.

Text: Dagmar Claaßen