Jean Sibelius (1865-1957)
Andante festivo (1922)
Romanz e in C, op. 42 (1903)
Suite mig nonne op 98a (1921)
1. Petite Scene
2. Polka
3. Epilogue für Flöte und Steichorchester
Wenden wir uns einmal kurzzeitig ab von Deutschland und seiner Musik und blicken in Richtung Norden. Einer der ersten Namen, die uns hier einfallen, ist der des fi nnischen Komponisten Jean Sibelius.
Als Sohn eines Arztes wollte und sollte der junge Mann zunächst etwas „Ordentliches“ lernen und Jurist werden. Doch wie das bei starken Charakteren mitunter so ist, sah Sibelius seine Berufung doch auf einem anderen Gebiet, dem der Musik. Und hier beginnt schon seine Beziehung zu Deutschland. 1889 reiste der junge Mann mit einem Dampfschiff von Helsinki nach Berlin, um dort Komposition und Musik zu studieren. Diese Studienreise war von großer Bedeutung für die finnische Musikgeschichte.
Sibelius gilt bis heute als der größte fi nnische Komponist, dessen Werk bestimmt sind durch die Inspiration, die ihm seine heimatliche Landschaft und das volkstümliche Musikgut boten. Doch lassen sich auch Einfl üsse deutscher Komponisten nicht verleugnen. So übernahm Sibelius unter anderem Elemente aus der europäischen Sinfonietradition in seine Werke. Seine Vorbilder waren u.a. Mozart, Mendelssohn und Brahms, die alle aus der deutschen Tradition kamen. Im Alter von 32 Jahren erhielt er ein dauerndes Staatsstipendium, das ihm das berufl iche Leben als freischaffender Komponist deutlich erleichterte. Mit 40 Jahren galt Sibelius bereits als lebende Legende, sozusagen der Finnen ganzer Stolz.
Die über sein Heimatland hinausreichenden Einfl üsse erklären wohl auch, warum Sibelius eine eigenständige Position in der europäischen Musikgeschichte an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert einnahm.
In Skandinavien, Großbritannien und Amerika wurde das Werk des Komponisten stets vorbehaltlos anerkannt und aufgeführt. In Deutschland, wo viele seiner Kompositionen verlegt worden sind, hat man ihm diese Aufmerksamkeit nicht immer geschenkt. Erst in den späten sechziger Jahren hat eine vorurteilsfreiere Würdigung des Komponisten auch in unserem Lande eingesetzt.
Seine Werke zeichnen sich durch erzählende Breite, aber auch sinnliche Lyrik aus. Zu seinen bekanntesten Kompositionen gehören neben den sieben Symphonien die symphonische Dichtung „Finlandia“ oder der „Valse triste“ aus der Bühnenmusik „Kuolema“. Doch lohnt auch ein Blick auf sein unbekannteres Schaffen.
Andante Festivo
Kurz vor Weihnachten 1922 beauft ragte Walter Parviainen eine festliche Kantate bei Sibelius für die 25-Jahrfeier der Sägemühlen von Säynatsalo. Während Sibelius seine Skizzen betrachtete, entschied er sich schnell für ein kleines Werk von nur wenigen Seiten, das von einem Streichquartett gespielt werden sollte. Das Stück beruht möglicherweise auf einigen sehr frühen Skizzen, vielleicht sogar auf dem Plan für das Oratorium Marjatta zu Beginn des letzten Jahrhunderts.
Einen erneuten Anlass zur Auff ührung bot die Hochzeit der Nichte des Komponisten Riitta Sibelius im Jahre 1929. Hier erklange das „Andante festivo“ durch zwei kombinierte Streichquartette. Es ist möglich, dass der Komponist auch Veränderungen speziell für diese Auff ührung vorgenommen hat. Diese sollten allerdings nicht die letzten Eingriffe in die Komposition sein. Ein Grund hierfür ist, dass Sibelius in den 1930er Jahren viel Zeit damit verbrachte, Radio zu hören. Die verzerrte Wiedergabe der Lautsprecher dieser Zeit ärgerte ihn und brachte ihn auf den Gedanken, dass man für Radioaufnahmen anders komponieren müsse als für ein Live Konzert. Er entschied sich dazu, diese Idee in der Praxis auszuprobieren, als sein Freund Olin Downes, ein Kritiker der New York Times, ihn bat, ein Musikstück zu schreiben, das Finnlands Grüße an die Welt symbolisieren sollte. Diese Komposition sollte dann in einer Radiosendung anlässlich der Feierlichkeiten zur New Yorker Weltausstellung ausgestrahlt werden.
1939, siebzehn Jahre nach der ersten Anlage des Stückes, bearbeitete Sibelius das „Andante festivo“ für Streichorchester und Kesselpauken, mit der Radioübertragung im Hinterkopf. Die Aufnahme dieser Sendung ist das einzige überlieferte Dokument, das Sibelius als Dirigent seines eigenen Werkes hören lässt. Mittlerweile hatte er ein Alter von 73 Jahren erreicht.
Das Tempo des Stückes in dieser Aufnahme ist feierlich langsam und zeichnet sich durch einen Hymnencharakter aus. Es ist konstruiert als gleichmäßiger und kontinuierlicher Strom von ähnlichen Phrasen, die ineinander übergehen. Der Streichorchesterklang kann als singend, wenn auch fast ein wenig grob charakterisiert werden. Sibelius nahm sich die Freiheit des Komponisten, ab und zu von seinen eigenen Tempoangaben abzuweichen. Nur eine Generalprobe erlaubte der Komponist, dann wurde das Stück aufgeführt.
Romanz e in C, opus 42
Sibelius schrieb diese gerade einmal fünf Minuten dauernde Miniature im Jahre 1903, zwischen zwei Versionen seines beliebten Violinkonzertes. Anders als das Konzert rührt der Charme dieser Romanze von einer recht simplen charakteristischen Melodie mit dem sehr geradlinigen Einsatz des Streichorchesters.
Während er an dem Werk schrieb kämpft e der Komponist in einer fi nanziell recht turbulenten Zeit, eine Situation, die in seiner ersten Lebenshälft e nicht ganz ungewöhnlich war. Die Einführung einiger Copyright Gesetze Jahre später erleichterte ihm das Leben in dieser Hinsicht sehr. Trotz anfänglicher Geldsorgen sah Sibelius später auf diese Periode als eine Zeit der Freude zurück. Er arbeitete noch im romantischen Stil seiner frühen Werke, teilweise beeinflusst durch Tschaikowsky und Grieg. In dem Jahrzehnt, das der Komposition der Romanze folgte, wurden seine Werke etwas ernster. Ein Trend, der besonders von der vierten Symphonie an deutlich hörbar wird. Es wurde angenommen, dass diese Ernsthaft igkeit gesundheitlichen Einschränkungen resultierte. Andere Stimmen besagen, dass es doch eher tiefere musikalische und spirituelle Kräft e waren, die hier zutage traten.
Opus 42 war ursprünglich mit „Andante“ überschrieben und trug den Namen die ersten fünf Jahre seiner Existenz. Den Impuls, die Bezeichnung zu ändern, erhielt er, als ihm im Rahmen einer Werksbesprechung ein Titel wie „Nocturne“ oder „Romanze“ als angemessener nahegelegt wurde. Sibelius nahm sich diese Kritik möglicherweise zu Herzen und änderte dann tatsächlich die Bezeichnung in „Romanze“. Vielleicht lag der Hauptgrund für diese Einsicht aber auch darin, dass er im Jahre 1908 eine Veröffentlichung des Stückes forcieren wollte. Wenn allein eine Titeländerung dies würde bewirken können, dann war dies wohl ein Kompromiss, den Sibelius durchaus einzugehen bereit war.
Die Romanze ist in drei Hauptgedanken unterteilt, einem langsamen Andante-Beginn, einen etwas schnelleren Mittelteil und zuletzt eine weitere langsame Passage. Sibelius mochte kurze, eff ektive Kompositionen, ihm lagen ausufernde Themen nicht. Auf die Frage, was er einem jungen Komponisten, der ihn um Rat bäte mit auf den Weg geben würde entgegnete Sibelius: „Schreibe nie eine unnötige Note, denn jede Note sollte ihr eigenes Leben haben.“
Suite mignonne, für Flöte und Streichorchester, Op. 98a
Während des ersten Weltkriegs war Jean Sibelius gezwungen, eine Unmenge von Miniaturen zu komponieren, um den Lebensunterhalt seiner Familie zu sichern. Während dieser Zeit waren die Verbindungen zu den internationalen Verlegern abgebrochen und die einheimischen benötigten eher leichte Hausmusik. Motive für kleinere Orchesterwerke suchte und fand er später unter seinen Entwürfen und in einigen vollendeten Klavierstücken.
Es war eine häufi ger anzutreff ende Eigenschaft des Komponisten, seine Themen in tonalen Motiven zu skizzieren und sie dann in vielen Kombinationsmöglichkeiten auszuarbeiten. In den Jahren 1921–1923 entstanden drei winzige Orchestersuiten, die „Suite mignonne“, die „Suite champêtre“ und die „Suite caractéristique“. Das erstgenannte Werk werden Sie heute zu Gehör bekommen.
Ähnlich wie das „Andante festivo“ dauert die „Suite mignonne“ nur ungefähr sechs Minuten. Das Stück ist für zwei Flöten und Streichorchester komponiert. In diesen sechs Minuten schafft der Komponist es, drei Sätze unterzubringen, die „Petite Scene“, die „Polka“ und einen „Epilogue“. Was dieses Stück für Sibelius so wertvoll machte war, dass er es an den englischen Verleger Chappel verkaufen konnte. Geld war nun einmal auch für einen Künstler überlebenswichtig, auch wenn Sibelius keine Reichtümer anzuhäufen anstrebte. In seinem oft mals ironischen Unterton sagte er einmal: „Über Musik kann man am besten mit Bankdirektoren reden. Künstler reden ja nur übers Geld.“
Kritiker ziehen hinsichtlich der „Suite mignonne“ Parallelen zu Chopin und zu den leichten Ballettnummern von Tschaikowsky. Was wir aber auf alle Fälle sagen können: Diese Musik vergeht wie im Fluge, denn sie ist so leicht und anmutig, dass sie bereits vorbei ist, bevor wir uns in sie hinein geträumt haben.
Erst sehr viel später resümierte der alte Sibelius die Zeit des ersten Weltkrieges: „Ich hatte niemals im Ernst geglaubt, dass Europas größte Nationen Krieg gegeneinander anfangen könnten […] Anfangs war man – und auch ich – der Meinung, der Krieg werde höchstens drei Monate dauern. Deshalb ging einem die ganze Tragik des Geschehens gar nicht so auf, wie es nötig gewesen wäre.“ Die trüben Erfahrungen der Kriegszeit hat Sibelius in einem erweiterten Klangspektrum verarbeitet, das nichts mehr von der Leichtigkeit einer „Suite mignonne“ erkennen lässt. Nicht allen Kritikern gefi el diese Entwicklung, doch diese Stimmen prallten an dem Komponisten ab: „Achtet nicht darauf, was die Kritiker sagen – für einen Kritiker ist noch nie ein Standbild errichtet worden“.