Darius Milhaud (1892-1974)
La Création du monde op. 81 (1923) (Die Erschaffung der Welt)
Ballett in einem Akt und fünf Szenen
Libretto: Blaise Cendras nach der schwarzafrikanischen Mythenwelt
Mehr als 400 Einträge finden sich im Werkverzeichnis des Komponisten Darius Milhaud in quasi allen traditionellen Musikgattungen, angefangen bei der Oper, über sinfonische und kammermusikalische Werke bis hin zur Vokalmusik. Besonders inspirieren ließ sich der Komponist vom südländischen Flair des (italienischen) Mittelmeerraumes. Strenge und formale Techniken des Tonsatzes sind in den meisten seiner Werke weniger zu finden, dafür verschiedenste Rhythmen und Harmonien aus klassischer Musiktradition und internationalen, seiner Zeit modernen, Stilrichtungen.
In seinem Ballett „Die Erschaffung der Welt“ werden diese Eigenheiten umgesetzt. Innerhalb von 17 Minuten erschafft Milhaud die Welt. In dieser Zeit formen die drei Schöpfergottheiten Ngama, Medere und Nkwa aus den Rohmassen der uranfänglichen Erde neue Gebilde. Die Ergebnisse muten zunächst bizarr an: Riesige Vögel, schreckhafte Fledermäuse, furchteinflößende Reptilien und überdimensionale Insekten, zu deren Ernährung ein phantasievolles Pflanzenreich geschaffen wird. Im Laufe der Handlung wird das Verhalten der Wesen neu gelenkt. Sie haben ihrem Schöpfer für ihre Existenz zu danken. Ihr unbändiger Bewegungsdrang wird marionettengleich geregelt und manipuliert. So konnte die Kunstform des Balletts entstehen. Mit einem sprichwörtlichen Paukenschlag kommt es nun zum Höhepunkt der Schöpfungsgeschichte: Der Mensch betritt die Welt – und das gleich in doppelter Ausführung, als Mann und als Frau. Ballettbegeistert üben die beiden erste Schritte zum Tanz der Begierde. Zunächst sind es die Primaten unter den neugierig Zuschauenden, die die Bewegungen imitieren. Lediglich 17 Instrumente malen dieses spektakuläre Szenario. Die Orchesterbesetzung besteht aus 2 Flöten, 1 Oboe, 2 Klarinetten, 1 Saxophon, 1 Fagott, 1 Horn, 2 Trompeten, 1 Posaune, Klavier, dazu Schlagzeug und diverse Streichinstrumente. Wie bereits erwähnt holte sich Milhaud seine musikalische Inspiration durch Aufenthalte in unterschiedlichsten Regionen der Welt. In Brasilien, den USA und auch in England ließ er landesspezifische Musikrichtungen auf sich wirken, um sie später in einer Kombination aus jazzigen Elementen und klassischen Strukturen in eine neue Musikform zu bringen. Ungewohntes braucht Zeit, um Gehör zu finden. Auch in diesem Falle stellte sich der Erfolg nicht sogleich ein. Seine Beliebtheit erlangte das reizvolle Stück erst im Laufe der Jahre. Uraufgeführt wurde das Werk am 25. Oktober 1923 im Théâtre des Champs Elysées. Fünf Jahre war Milhaud nun wieder in Frankreich, seinem Heimatland, in das er nach sechsjährigem Aufenthalt in Brasiliens Hauptstadt Rio de Janeiro zurückgekehrt war. Hier war er der Groupe des Six beigetreten, einer Vereinigung von sechs Musikern, die sich um ihren Mentor Jean Cocteau gruppiert hatte. Den Kern dieser Gruppe bildete die Ablehnung der romantischen Musik und die Abwendung vom musikalischen Impressionismus Claude Debussys und im Gegenzug die Hinwendung zu zeitgenössischen Formen der Unterhaltungsmusik. So verwundert es kaum, dass Milhauds Kompositionen nicht nur erste Erfolge, sondern auch ausgewachsene Skandale verursachten. Im Jahr der Uraufführung löste sich die Groupe des Six zwar auf, aber dem Gedankengut blieb Milhaud auch später weiter verhaftet.
Gestaltung: Ulrike Mönnig/Weimar