Ludwig van Beethoven: Ouverture c-moll zu Collins Trauerspiel „Coriolan“, OP. 62

Ludwig van Beethoven (1770-1827)

Ouverture c-moll zu Collins Trauerspiel „Coriolan“, Op. 62 

Komponisten lassen sich durch unterschiedlichste Eindrücke zum Schreiben ihrer Musik inspirieren. Das können Naturimpressionen sein aber auch Gemälde, historische Ereignisse oder Schauspielvorlagen.

Beethoven liebte die Natur. Sie war für ihn die eigentliche Sprache von Literatur und Musik. Auch der Literatur war er zeitlebens sehr zugewandt. Von den Dichtern seiner Epoche verehrte Betthoven Goethe am höchsten.

Er begeisterte sich für das Ethisch-Erzieherisches als erste Kraft eines Kunstwerkes und bewarb sich zunächst um Schillers „Wilhelm Tell“, als die Wiener Hoftehaterdirektion im Jahre 1809 Aufträge zu Bühnenmusiken für Schauspiele vergab. Doch dann übernahm er die Musik zu Goethes „Egmont“. Bereits zwei Jahre zuvor, im Jahre 1807, war Beethoven mit dem Schriftsteller Heinrich von Collin ins Gespräch gekommen und schrieb die Ouvertüre zu dessen Schauspiel „Coriolan“. Die beiden Künstler blieben in Kontakt und planten wohl noch weitere, dann aber doch nicht realisierte Projekte.

Seine Uraufführung hatte das Trauerspiel „Coriolan“ 1802 im Wiener Burgtheater. Vermutlich geht die Vorlage nicht auf ein tatsächlich historisches Geschehen zurück, hat aber durchaus Anleihen aus Plutarchs Lebensbeschreibungen aufgenommen. Der Stoff war kein unpopulärer. Schon Shakespeare war von der Thematik so ergriffen, dass er sie für seine „Tragedy of Coriolanus“ bearbeitete. Auch bildende Künstler, wie die Maler Guercino und Tiepolo, schufen Werke zu der literarischen Vorlage.

Kurz umrissen geht es um folgenden Inhalt:
Wir befinden uns im 5. Jahrhundert vor Christus. Gnaeus Marcius Coriolanus, ein römischer Patrizier und siegreicher Feldherr, wird aus Rom verbannt, da er sich dem Volk gegenüber schändlich verhalten hatte. Wegen seines übermäßigen Stolzes hatte das Volk von Rom sich geweigert, ihn zum Konsul zu wählen. Coriolanus` Wut darüber war so groß, dass er versuchte, durch Lebensmittelentzug das Volk zu zwingen, ihm seine Rechte zurück zu geben. Doch das ließen sich die Tribunen nicht gefallen und verurteilten Coriolanus wegen Verfassungsbruch und verwiesen ihn auf ewig des Landes. Nachdem er der Stadt zwangsweise den Rücken gekehrt hatte, verbündet er sich mit den Feinden Roms, den Volskern, die er kurz zuvor noch bekriegt hatte und greift seine Heimatstadt an. Den Beinamen Coriolanus hatte er nach der Eroberung der Volskerstadt Corioli erhalten. Die Aussichten, den Krieg zu gewinnen, stehen nicht schlecht, denn die Römer sind der feindlichen Übermacht unterlegen. Als letzte Waffe kommt eine Gesandtschaft adliger römischer Frauen ins Spiel, darunter Coriolans Mutter und seine Ehefrau. Durch inständiges Bitten versuchen sie, Coriolan zum Rückzug der Truppen zu bewegen. Aber auch inständiges Flehen kann das Herz Coriolans nicht erweichen. So schlägt die Mutter einen anderen Ton an und appelliert an die Pflichten des Sohnes gegenüber seiner Heimat. Sie hat hiermit Erfolg und die Truppen ziehen ab. Coriolanus selbtst bezahlt jedoch diesen Rückzug mit seinem Leben.

Während der Titelheld in Beethovens Komposition von eigener Hand stirbt, wird er in der Version Plutarchs von den erbosten Volskern erschlagen. Im Drama wird aus der Person des Coriolan ein Held, der aber auch Schwächen zeigt. Neben seinem geradlinigem Handeln stehen auch unsichere Momente, die sich in seinem aufbrausenden Wesen offenbaren.

Beethoven setzt den Stoff sehr eindrücklich um. Natürlich kann vieles in die Musik hineininterpretiert werden, was möglicherweise so gar nicht explizit intendiert war. Doch einige musikalische Illustrationen drängen einfach bestimmte Interpretationen auf.

Bekannt ist der Beginn mit den langen Fortissimo Unisoni in den Streichern und den darauf folgenden abrupten Schlägen im Tutti. Hier lässt sich das Bild des herrischen Coriolan gut erkennen, das durch die nun folgenden drängenden Bewegungen in der Musik noch verstärkt wird.

Das Motiv setzt sich in einem aufb rausenden Tutti fort, bevor es in ein zweites Th ema übergeht, das eher lyrisch wirkt und den Auft ritt der Frauen charakterisieren könnte. Streichertremoli verweisen vermutlich auf Coriolans aufgewühlte Emotionen. Am Ende verlöscht das „Coriolan“- Thema. Statt eines fulminanten Schlussakkordes beenden drei Pizzicato-Viertel im Pianissimo das Werk. Der große Held legt Hand an sich selbst und stirbt.

E. T. A. Hoff mann stellte in einer Rezension von 1812 einmal fest, niemand könne beim Hören dieser Musik Beethovens etwas anderes erwarten „nicht einmal ein bürgerliches, sondern ausdrücklich ein höheres Trauerspiel, in welchem Helden auft reten und untergehen“.

Erstmalig aufgeführt wurde die Komposition im Wiener Palais Lobkowitz im März 1807 zusammen mit dem 4. Klavierkonzert op. 58 und der 4. Symphonie op. 60. Der inhaltliche Bezug der Musik zu einer literarischen Vorlage weist den Weg zur symphonischen Programmusik. Die Form des Stückes ist sehr übersichtlich, strotzt aber trotzdem nur so vor emotionalen Bewegungen. Die Themen lassen sich recht klar den einzelnen Parteien der literarischen Vorlage zuordnen, der aufb rausende Held gegen die flehenden Frauen. Interessant ist, dass Beethoven das Werk ohne Auftrag komponierte. Er war bekannt mit Heinrich von Collin und wollte wohl das inzwischen vergessene Trauerspiel aus der Versenkung wieder aufl eben lassen. Für seine Verhältnisse hat Beethoven sich nicht allzulange mit der Komposition „aufgehalten“. Ganze zwei Monate benötigte er für das Niederschreiben. Und doch entwickelte sich hieraus keine Eintagsfliege, sondern eines der heute bekanntesten Werke des großen Komponisten.